Ganz Europa war von den Folgen des Kriegs gezeichnet, die Städte lagen in Schutt und Asche, die Felder waren verwüstet, die Fabriken zerstört. Aber der Krieg war nun endlich vorbei, die Zerstörung hatte aufgehört. Nun galt es aber aufzuräumen und wieder aufzubauen. Die deutschen Machthaber in Berlin hatten während den Kriegsjahren die politischen Zügel in der Hand und ihre katastrophenbringenden Strategien wurden knallhart umgesetzt. Die Menschen und vornehmlich schlichten Bauern im Banat bekamen von derartigen Geschehnissen nur wenig mit, besser gesagt, es passierte eben drum herum. Als nun der Krieg dem Ende zu ging, wurden diese Menschen jedoch als erstes in Gefangeschaft genommen und zur Zwangsarbeit nach Russland verschleppt. Meine Großmutter konnte in dieser Zeit aber erfahren, dass vielen Menschen auch auf der gegnerischen Seite in Russland die Situation dennoch klar war. Viele verstanden, dass hier nun gewöhnliche Zivilisten in Arbeitslagern schuften mussten und keine involvierten Soldaten, geschweige denn von verantwortlichen Machthabern. Anderen wiederum war dies leider nicht direkt klar, besser gesagt, Wut über erfahrenes Leid im Krieg wurde an den Insassen ausgelassen.
Aufgrund ihres äußerst schlechten gesundheitlichen Zustandes war Katharina Frank zunächst auf der Krankenstation. Die übermäßige harte Arbeit, das wenige Essen, die Infektionen und einfach die Summe all dieser Dinge haben die Lebensenergie meiner Großmutter fast zum Erliegen gebracht. Die ansäßige Ärztin kümmerte sich zum Glück soweit um die Gefangenen, dass diese nicht hinwegstarben. Nach einigen Tagen Erholung im Lagerlazarett durfte Katharina zunächst in einer weniger anstrengenden Sektion mitarbeiten. In der sogenannten Gartengrube wurde mittlerweile eigenes Obst und Gemüse angebaut, um den Bedarf des Lagers besser decken zu können. Die täglichen Essensrationen waren immer noch sehr gering, aber es steigerte sich mit der Zeit. Während ihrer Arbeit in dieser Gartengrube entdeckte meine Großmutter eine Möglichkeit kurzzeitig aus dem Gefangenenlager zu entwischen und bei einer liebevollen benachbarten russischen Anwohnerin unterzukommen. Mitten im Nirgendwo zwischen Schmerz und Leid auf einmal wieder Menschlichkeit. Und eine gute Milichsupp mit Polenta.
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Kapitel 3.7. – [ VERSCHLEPPUNG ⛓ ]
? Ausbüchsen aus der Gartengrube ?
(Katharina): Das war der Garten. Da war ein großes Feld, das war groß eingezäunt drum herum mit einem hohen Drahtzaun. Und dort haben unsere Leute und Russen, alles durcheinander, dort gearbeitet. Da war ja wirklich alles. Du kannst ja nicht den ganzen Tag Tomaten essen. Da frisst man sich doch doof mit allem. Jetzt hab ich bemerkt, dass zwei raus schlüpfen.
(Kathi): Na wie kommen die raus an dem Drahtzaun?
Was meinst du? Die haben unten aufgewühlt gehabt. Das hat der Natschalni alles nicht gesehen. Der war ja nicht immer auf einem Platz. Die haben es aufgewühlt und hatten dann dort ein Loch. Dort sind sie raus und sind dann, da war so eine kleine Anhöhe. Und an der Anhöhe dort waren sieben Häuser gestanden. Ich hab sie beobachtet, als sie zurück gekommen sind. Dann bin ich hin und hab gefragt:
(Kathi): Wo wart ihr denn?
(Kameradinnen): Betteln. Das kannst du auch machen.
(Kathi): Na, wo?
Dann haben sie mir gezeigt, wo ich hingehen soll. Und dort ist das Loch, dort kann raus schlüpfen. Und wie ich draußen war, hat der Natschalni mich gesehen, wie ich da hoch bin. Der hat getobt und geschrien. Und ich bin da hoch gelaufen.
(Kathi): Hilfe, Hilfe! Hab ich gerufen.
Auf einmal schau ich in die Höhe. Da steht eine himmelgroße Frau vor mir. Hat auf Russisch mich gleich in den Arm geholt und gerufen:
(alte Russin): Komm mir nicht hoch!
Die hat auf Russisch zurück getobt. Weißt du, ich hab gezittert und gewackelt. Das war so ein langes Haus, eine Tür war nur. Das sehe ich so oft, an das denke ich so oft. Die Tür hat sie aufgemacht, mit rein genommen. Also da waren die Schweine, so kleine Schweinchen. Da war die Ziege. Dort waren die Hühner. Dann dort im Ecken war der Ofen. Oben waren so Matratzen, das war ihr Bett. Dort im Eck war ein Tisch und vier Stühle. Dann hat sie gesagt, ich soll mich jetzt sitzen. Dann hab ich mich gesetzt. Ich hab auch spucken müssen. Und dann hat sie schon gesehen, was ist. Dann hat sie ein Töpfchen geholt, hat das ausgewaschen, ist zur Ziege gegangen und hat die gemolken. Dann ist sie wieder gekommen, dann hat sie die Milch durch ein Sieb und vor mich hingestellt. Dann hat sie Polenta dazu, also aus Mais. Du weißt schon, was das ist. Das hat sie auf ein Teller und mir dann da drauf. Jetzt soll ich essen! Und dann hab ich gesehen, dass sie nochmal zur Ziege gegangen ist, um sie zu melken. Dann hat sie eine Flasche ausgewaschen, das kann eine Halbliterflasche gewesen sein. Also dort rein und als ich dann gegessen hat, dann musste ich gehen. Sie hat mich aber begleitet. Ich denke, die hätte den gefressen. Als erstes hat sie mir erzählt, ich soll Mamka zu ihr sagen. Sie hat zwei Töchter. Als die Deutschen weg sind, da sind die mit den Deutschen mit. Und an der Grenze sind sie hops genommen worden. Jetzt sind die eingesperrt worden auf der Insel Kergej. Dort ist vielleicht nur drei oder vier Stunden nur Tag. Und dort müssen sie arbeiten lebenslange, solange sie leben. Einmal im Monat dürfen sie schreiben. Und somit, also so hab ich das verstanden, bin ich jetzt ihre Tochter. Dann hat sie gemeint, das hier soll ich mit nach Hause mitnehmen und soll daheim trinken in der Baracke. Sie wird mich kurieren. Drei Wochen hab ich kein Blut mehr gespuckt. Jeden Tag bin ich dort hoch zu der Frau. Die anderen sind auch raus, die haben sich auch was gesucht. Mehr hab ich ja nicht betteln können. Also jetzt war ich dann wieder gut. Dann hab ich zurück gemusst zu der Doktorin. Die hat mich nochmal schön geschickt in mein Kohle, nicht Kohle. Ich dank ja unserem Herrgott, da war ja Himmel über uns. Die im Kohleschacht, die haben es ja schlecht gehabt. Also nochmal dort hin.
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