Schon am frühen Morgen herrschte reges Treiben im Freizeitheim am Rande des Dorfes Neunkirchen in der Nähe von Mosbach. Und dies, obwohl erst nach 3 Uhr das letzte Licht im Haus erlosch. Aber das Frühstück für 36 Personen musste vorbereitet werden. Und zwar so, wie es die Banter Gastfreundlichkeit vorgibt: an einem reichlich und mit viel Liebe zum Detail gedeckten Tisch. Susi Bako hatte den perfekten Überblick im Haus, das Küchenteam war fest in Darowarer Hand.
An diesem Wochenende kamen die Lustigen Schwaben wieder einmal zusammen, um zu feiern und sich auszutauschen. Aber es sollte sich nicht nur um dieses gemeinsame Treffen drehen, sondern eine weitaus interessantere Begegnung stand auf dem Tagesplan. Besuch aus Brasilien hatte sich angekündigt und für die gab es an diesem Wochenende im Odenwald Überraschungen am laufenden Band.
Bereits der Empfang am Freitag, den 18. Mai war alles andere als herkömmlich. Mit Marschmusik und Gesang wurden die Gäste empfangen und nach einem deftigen Abendessen in Form von Gefülltem Kraut wurde gesungen und getanzt. Wenn andere Fluggäste sich nach einem langen Flug von Rio de Janeiro nach Frankfurt eher nach einem Bett sehnen, machten unsere Freunde beschwingt mit und legten noch einen drauf. Von Müdigkeit oder einem Zeitzonenkater keine Spur.
Die Lustigen Schwaben sind eine Gruppe gleichgesinnter Banater Schwaben, die Mehreres miteinander verbindet. Begonnen hat alles vor vielen Jahren mit einer Tanzgruppe. Danach wurde der Freundeskreis stetig erweitert. Jeder, der gerne mitmachen mochte wurde freudig aufgenommen. So z. B. auch Franz Weinhardt, der Gründer der Musikgruppe „Die Enztäler“ mit seiner Frau. Abgewiesen wurde bisher noch nie jemand. Es sind Paare aus neun Landkreisen aus Baden-Württemberg, die sich mittlerweile regelmäßig treffen und oft etwas gemeinsam unternehmen.
Die Gäste aus Übersee haben sich als Mitbringsel etwas Originelles einfallen lassen. Für ihre Freunde hatten sie geschnitzte Kochlöffel im Gepäck. Alle Gegenstände waren mit einem Spruch versehen. Jeweils unterschiedlich. Und natürlich in deutscher Sprache. Die Wiedersehensfreude war groß!
In 2012 wurde das Freundschaftsband mit den Banater Schwaben aus und in Brasilien geknüpft. Seither erfolgen Besuche und Gegenbesuche. So war man in 2013 gemeinsam auf einer Busreise durch das alte Banat in Ungarn, Serbien und Rumänien. Und weil bei diesen Besuchen stets viel über Brauchtum und Tradition geredet wird hat man sich entschlossen, den Gästen aus Entre Rios in diesem Jahr etwas Besonderes zu bieten. Eine Schweineschlacht wie früher geht so nicht mehr. Aber Wurst machen wie die Ahnen schon. Ganz nach den alten Rezepten, aber mit neuester Technologie
Der Begriff „Heimat“ fiel an diesem langen Wochenende sehr oft. Wäre da nicht diese sture Grammatik, die es uns nicht erlaubt, dieses für uns so bedeutungsvolle Wort in den Plural zu setzen, hätten es so manch einer unter uns beim Erzählen viel leichter. Wobei es sich eigentlich herauskristallisierte, dass Heimat hier eher als ein Gefühl definiert wird. Kann man mehrere Orte als seine Heimat nennen? Gibt es problemlos eine alte und eine neue Heimat? Und welcher hält man dann die Treue?
Heimische Gefühle lösen an diesem Wochenende mit Sicherheit Erzählungen und Erinnerungen aus. Obwohl die Freunde aus Entre Rios bereits alle in Brasilien geboren und auch dort aufgewachsen sind, sprechen sie nicht nur ein sehr gutes, sondern auch ein aktzentfreies Banat-Schwäbisch. Ihre Eltern mussten während des Zweiten Weltkrieges flüchten, haben aber nie vergessen, von wo sie weg mussten. Wie stark das Herz der nächsten Generation auch noch für das Banat schlägt, wurde in den Gesprächen und dem Verhalten schnell klar.
Die „Brasilianer“, wie sie in den Gesprächen liebevoll genannt wurden, tragen Namen wie Hans, Helmuth oder Reinhold. Und Johanna, Kathi oder Irmgard. Die Liebe zum Banat wurde ihnen in die Wiege gelegt. Sie war mit ein Grundstein beim Aufbau der Siedlung Entre Rios, einem Distrikt im Bundesstaat Paraná in Brasilien. Nach dem Zweiten Weltkrieg siedelten sich im Jahr 1951 donauschwäbische Auswanderer in Entre Rios an. Die „Schweizer Europahilfe“ stellte den etwa 500 Familien eine hohe Summe Geld für Landkauf, Transporte, Ankauf von Maschinen und Aufbau der Siedlung zur Verfügung. Auch in Brasilien gab es für die Kolonisation Unterstützung. Die insgesamt sieben Transporte der Donauschwaben wurden von Schweizer Dominikanerschwestern begleitet, die später auch im Bereich des Schul- und Gesundheitswesens von Entre Rios wirkten. Doch Banater Tugenden, Brauchtum und Tradition, Fleiß und Disziplin hat man den Kindern und Enkelkinder vorgelebt und weitergegeben. Aus der Siedlung hat sich ein Erfolgsmodell entwickelt.
Der Morgen war gefüllt mit Arbeit. Das Fleisch musste verarbeitet werden, um später die Wurst zu machen. Einige Frauen machten Ziehstrudel. Und bewiesen den Anwesenden, wie gut sie es mit dem Ziehen drauf hatten. Kein Loch im großen Fleck und Ottmars Prüfung mit der Zeitung hielt der dünne und weit gedehnte Teig stand.
Zum Mittagessen gab es erst mal leckere Suppe aus dem „Abropp“ des Ziehstrudels. Danach frisches Kesselfleisch mit Brot und Saurem. Dabei wurden allerlei Anekdoten von der früheren Schweineschlacht. Angefangen damit hatte Oberschlachter Seppi Bako, der unbedingt das Schwänzlein loswerden wollte. Gelächter ohne Ende gab es auch nach dem Bedauern, dass an dieser Schlacht keiner in den Genuss des Ringes gekommen ist.
Nach dem Kaffee, zu dem es fünf Arten (Apfel, Käse, Kirsch, Kürbis und Kraut) von Ziehstrudel gab folgte das Highlight des Tages. Federführend von Anna und Hans Lang wurde den Gästen das Stück „Leit, wie schnell die Zeit vergeht“ vorgeführt und rührte diese zu Tränen. Es wurde das Leben im Banat der Sechziger und Siebzieger Jahre aufgezeigt. Angefangen von der Taufe über die Schule, der Firmung bis hin zur Hochzeit und Auswanderung wurde nichts ausgelassen, was im Leben der Banater Dörfer von Bedeutung war. Verwendet wurden dabei nicht nur die originelle Kleidung von Früher, sondern auch Requisiten aus dem Banat der siebziger Jahre wie z. B. Schultasche und Koffer. Untermalt war die Show mit Texten und alten Bilder, die über einen Diaprojektor ausgestrahlt wurden. Als Abschluss sang man gemeinsam „Nach meiner Heimat, da zieht’s mich wieder…“
Doch was wäre eine Schlacht ohne Sautanz? Den gab es nach dem Abendessen, an dem frische Wurst serviert wurde. Und wenn Hasi zum Akkordeon greift, ist für gute Stimmung schnell gesorgt. Es wurde eine Nacht, in der nicht nur gesungen und getanzt wurde, sondern auch Freundschaften vertieft und eine Beziehung gepflegt von der man sich wünscht, dass sie noch lange anhalten möge.
Am Sonntag hieß es dann Abschied nehmen aus dem Odenwald. Die Reise der Brasilianer geht weiter, in den Schwarzwald. So schön die drei Tage auch waren, zum Abschied flossen Tränen. Zum Schluss gab es das Versprechen, sich nächstes Jahr in Entre Rios zu treffen. Obwohl nun wieder viel geplant werden muss, steht eines schon fest: Das Banat mit all seinen Facetten steht im Vordergrund. Und die Banater Fahne wird eines der ersten Stücke sein, die im Koffer verstaut wird.
Anton Michels