Zeitzeugin: KATHARINA FRANK Kapitel 3.3.: Ankunft in Russland in der Kohlegrube

Nach einer beschwerlichen Reise in den Eisenbahnwaggons quer durch Rumänien und über Odessa gelangte der Transport mit den Veschleppten nach Norden ins damalige sowjetische Inland. Meine Ur-Großmutter weiß nicht genau, wo sie untergebracht war, aber es müsste wohl irgendwo zwischen Kiew und Minsk gewesen sein, im heutigen Weißrussland und in der Ukraine. Auf der Startseite des Verschleppungs-Teils ist eine Karte mit der Transportstrecke und der Rückroute eingefügt. Katharina Frank erzählt wieder ausführlich und mitreißend von der Ankunft in dem Gefangenenlager, sie nimmt wieder Stimmen der Beteiligten ein und beschreibt die Ereignisse aufschlussreich theatralisch. Man kann sich dennoch nur vage vorstellen, wie diese Zeit wohl gewesen sein muss.

Das Gespräch ist weiter unten wieder in schriftlicher Form und im Hochdeutsch eingefügt, das Audio ist aufgrund der Dialekts für Nicht-Banater eher schwerer zu verstehen. Meine Ur-Großmutter berichtet von der Einquartierung, von den Baracken und der zugewiesenen Arbeit in der Kohlegrube. Sie hatte die Aufgabe, Waggonets (=Loren) mit gesprengten Kohlefelsen und Brocken in den Stollen zu füllen, diese zu einer Rampe zu ziehen und den Inhalt in größere Transportwägen zu verladen. Die Arbeit war mühsam und äußerst kräftezehrend, Verpflegung gab es wenig. Katharina Frank machte erste freundliche und auch unfreundliche Bekanntschaften mit anderen Insassen, mit Wärtern und Aufpassern. So lernte sie auch das sogenannte „Einäuglein“ kennen, der ihr half, als ihr ein volles Waggonet umkippte.

 


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Kapitel 3.3. – [ VERSCHLEPPUNG ⛓ ]
  ⛏ Ankunft in Russland in der Kohlegrube  ⚒

 

(Katharina): Jetzt Potschidiri. Wir hatten keine Stiefel. Bis hier hin im Schnee. Dann sind wir durch ein Dorf. Dann haben Kinder auf der Straße gerufen:

              (Kinder): Jaaa Berlinski, Berlinski! Voila kaputt!

Das haben wir ja noch nicht verstanden. Aber mit der Zeit, gell. Als wir dann länger dort waren, da haben wir dann auch gewusst, was das alles bedeutet. Und die Kinder haben die große Wufalka (=großer, warmer Mantel) angehabt und haben eben auf der Straße geschrien. Also auf einmal hieß es halt. Dann war da ein großes Haus, das war aber leer. Aber die Betten, die waren aufeinander. Das stand da drin, aber kein Strohsack, keine Kissen, keine Decken, nichts. Kein Fenster konnte man aufmachen zum Lüften. Keine Heizung, kein Wasser, nichts. Nach drei Monaten hatten wir das nicht gehabt. Da hatten wir kein Wasser und keine Heizung. An drei Tagen mussten wir nicht arbeiten. Der Dolmetscher hat uns morgens immer geweckt. Dann mussten wir antreten. Raus auf den Hof.

                          (Soldat): Potschidiri, Potschidiri!

Dann standen da schon die Natschalni.

                           (Soldat): Potschidiri, Potschidiri!

Also der eine hat so geschaut und ist hier gestanden, also ein jeder hat sich gesucht von uns.

                           (Soldat): Dort hin, dort hin!

Also unser Natschalni, der hat sich 13 raus gesucht. 13 Frauen einer Statur. Und als wir dann da so standen, da kam er dann vor uns. Und der Philosoph, der Heimoffizier, der hat sieben Sprachen können. Der hat uns das dann auf Deutsch erklärt. Das ist jetzt unser Arbeitgeber. Und darum. Jetzt müssen wir mit dem Mann in die Arbeit gehen. Der zeigt uns dann wie das alles geht. Jetzt sind auf der Bahnlinie drei Kilometer bis dorthin gegangen, wo die Arbeit war. Und was meinst du, die Arbeit war ja in der Steingrube, gell. Also die Russinnen und die Russen, die Alten. Die haben ja schon alle gearbeitet. Dann war da so eine kleine Bude. Dort im Eck waren ein kleiner Tisch und ein Stuhl. Dort hat ein anderer gesessen. Der wird ja höher [im Rang] gewesen sein. Dann haben wir unsere Namen sagen müssen, wie wir heißen. Als das dann fertig war und als das aufgeschrieben war, da ist er dann aufgestanden, ist vor uns gegangen, vor uns gekommen und dann hat er so gemacht:

                           (Soldat): Tscherdinemtzki! Tzerdanski!! Da holen wir das Blut raus!

hat er gesagt.

                           (Soldat): Wir machen Pupuff wie die Memezki. Wie die Schießen!

Weißt du, das war Eisenerz. Das war nicht für Mauern oder den Straßenbau. Also jeh. Jetzt sind wir dem nachgelaufen, dem Vorarbeiter. Das war der Mann, das war ja sein Posten, von dem er gelebt hat davon.

Dann sind wir eingeteilt worden in die Linie. Das war die Wand. Um 11 Uhr ist der Sprenger gekommen, der das Dynamit gelegt hat, gell. Dann mussten wir raus. Dann sind wir in die Stalova, die Küche, essen. Also das Essen war ja nichts. Das war leeres Wasser, warmes. Und ab und zu ist eine Gurke oder eine bisschen Kartoffel drin herum geschwommen. Und morgens haben wir auch nur leeren Tee bekommen und das haben wir nicht genommen. Und da war so eine ältere Frau, die war schon 13 Monate da. Und die hat gesagt:

             (ältere Frau): Frauen! Trinkt doch den Tee! Es ist doch Wasser, euer Magen                                       braucht das doch!

(Frauen): Ja, dann müssen wir ja schon wieder pinkeln gehen und das gefriert, gell.

Als wir jetzt vom Essen zurück gekommen sind. Die haben ausgespielt. Sogar mit den Russen haben sie es ausgespielt. Die Russen haben ja, also wir sollten acht Waggonet machen von morgens 6 bis 4 Uhr in der Frühschicht. Wir haben ja nicht mal ein Waggonet gemacht. Es war ja nichts gesprengt für uns, also ein bisschen. Und den Felsen, den musste man zerklopfen auf 20 Zentimeter. Und ich an einem Tag, da war ich so glücklich. Ich hab ein bisschen gesprengt gehabt und hab nicht viel müssen klopfen. Du hast da deinen Hammer gehabt, gell. Und du musstest das dann da klopfen und dann in das Waggonet rein. Jetzt die Russin, die ist kontrollieren gekommen. Und die hat gesehen, dass ich das voll hatte. Die hatte mit mir ausgespielt! Dann hat sie gesagt auf russisch:

            (Kontrolleurin): Der hier, der ist dicker.

Wir haben ja mit den Händen geredet, bis wir sie mal verstanden haben. Dann hat sie das Waggonet umgekippt. Das war ja ein großes. Ich kann dir nicht sagen, wie viel Tonnen das waren. Dann stand ich da und hab geweint. Und meine Kameraden, die haben das gesehen. Und als die weg war, dann ist die Lissi gekommen und hat gefragt:

                                               (Lissi): Kathi, was weinst du denn?

          (Kathi): Schau mal her da. Ich hab ein bisschen gehabt, ich hatte das voll. Die                           hat gesagt, die sind zu dick, dann hat sie das rum.

Dann ist so ein alter Russe gekommen, der hat nur ein Auge gehabt, der hat nicht richtig gesehen. Dann hat er gesagt:

                           (alter Russe): Da, baritschna, bolschmuwle.

Dann hab ich gesagt:

          (Kathi): Na schau mal!

                           (alter Russe): Ah, aha!

So hat er gemacht. Dann hat er gezeigt, ich soll nur schön alles nochmal rein tun und Schluss. Am nächsten Tag bin ich an der Reihe gewesen, das Waggonet von den Arbeitern abzuholen, auf der Linie zu führen, bis dorthin, wo der Strom war, wo es dann hoch gegangen ist. Und dort war dann unten eine große Mulde. Und wart mal, also eins, zwei, drei, also wo der Zug die Linie gefahren ist. Und der Zug ist so gefahren, dass dort unten gewesen ist, wo es dann runter läuft in die Mulde, wo man dann von oben hinein kippt. Weil das haben die Russenmädchen gemacht. Die Russenmädchen haben dort mit ihren 15 oder 16 Jahren dort ihr Militär gemacht. Also dann bin ich an das geraten und musste dort wegdrücken.

Dann hab ich eine Bremse in die Hand bekommen. Aber das war Stahl oder sowas, das war eine einfache Latte. Und dann hat er mir gezeigt, ich soll aufpassen, dass ich nicht Saporilli mache. Also dass es nicht rausspringt. Ich hab drei, vier Vater Unser in der Stunde gebetet, dass nichts passieren soll! Und ich hab so Acht gegeben. Aber da hab ich dann mal so fest drücken müssen, dann ist der durchgebrochen. Und dann ist es raus. Der hat mir aber einen Dreifuss gegeben und eine lange Stange mit einer Nase. Und er hat gesagt, wenn ich Saporilli mache, dann muss ich den Dreifuss da hin stellen. Er hat mir schön gezeigt, wie. Dann muss ich mich gut, gut drauf lassen, und schwupps, das dann rein hieven. Ich? Nicht mal du hättest das machen können! Also, jetzt ist das passiert.

          (Kathi): Was mach ich jetzt? Na, ich stell das an.

Siehst du? Hier die Doktorin, die hat mich gefragt als sie das zweite Mal hier war, was ich denn hier habe. Da sag ich:

          (Kathi): Wissen Sie, was das ist? Das ist ein Andenken an Russland.

Was meinst du, ich hab mich da drauf gelegt. Und gedrückt und gedrückt und gedrückt. Und dann war das ja so verschwollen, der Brustkorb. Der steht auch manchmal ganz so raus hier. Bis hier rein war das alles schwarz und blau. Und ich hab arbeiten müssen dabei. Also, jetzt hab ich eine Eisenstange bekommen.

          (Kathi): Nun gut, jetzt wird es ja besser gehen.

Ich hab aber immer gut Acht gegeben, dass es nicht passiert. Ja, ein, zwei Mal ist es ja doch passiert. Also, dann ist es passiert.

          (Kathi): Ich pack das doch nicht!

Da stand ich dann wieder da und hab geweint. Dann ist wieder das „Einäuglein“ gekommen, das war der alte Mann. Ich hab ja nicht gewusst, wie er heißt, aber weil er nur ein Auge hat, eben Einäuglein. Dann ist der gekommen:

                                   (Einäuglein): Kathia! Potschmusch?

          (Kathi): Du siehst doch, was passiert ist.

Dann hat er gezeigt, weißt du, wenn ich ein Waggonet weggedrückt hab, ein jeder hat seinen Lohn bekommen. Die Russen und unsere. Aber unsere haben keinen Talon [=Lohn] bekommen, weil ja niemand nichts gepackt hat. Die Russen haben ja viel gemacht. Wenn die keine zehn Waggonet mit Steinen gemacht haben, dann mussten sie ja zehn Waggonet mit Erde, mit Musor machen. Und wo holt man das denn dann her, gell? Die Steine hängen dir da und du arbeitest hier unten, gräbst dich da rein für Erde. Und dann kommt der [Stein] noch runter. Also, dann hat er gezeigt, ob ich ihm gebe. Dann hab ich gemeint:

          (Kathi): Ich geb dir auch zwei!

Der Mann hat das angesetzt, und alleine hat er das dann da rein gehoben. Dann hab ich ihm gedankt. Dann hat er auf Russisch gemeint, das hab ich dann schon verstanden. Aber wenn das nochmal ist, dann soll ich ihn rufen. Er kommt dann und macht das. Dann war es nochmal in einer Zeit danach. Da hab ich ihn gerufen, dann ist er gekommen. Da hat es dann lang gedauert. So zwei, drei Wochen. Dann ist es nochmal passiert. Dann sind drei gekommen.

                               (Arbeiter): Kathia!

haben sie gesagt, auf Russisch.

                               (Arbeiter): Du musst die Reihe halten! Nicht immer den hier rufen.                                                    Du gibst dem, und du gibst uns auch!

          (Kathi): Naja. Gut. Also ich werde die Reihe halten.

Dann hab ich drei Mal mit Absicht Saporilli gemacht. Die haben das aber nicht gewusst. Also dann zwei nacheinander. Dann hab ich die gerufen. Den, dann den, und dann den anderen. Die Männer waren so 79 und 75. So wie der Opa hier. Die sind dann aber zu zweit gekommen und haben das gemacht, nicht alleine, so wie der alte Mann. Also dann hab ich jedem von den zweien einen Talon gegeben. Die haben sich schön bedankt und sind gegangen. Das hat aber niemand gewusst. Also gut ist. Und meine Kameraden, die haben doch gelacht. Und ich hab gesagt:

          (Kathi): Ihr lacht! Aber ich muss doch hier Gaschitzka machen.

So hat man das genannt.

          (Kathi): Und ich muss aufpassen, dass ich kein Saporilli mache und alles!

 


 

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>>> Kapitel 3.4. Unfall in der Kohlegrube >>>

 


 

Zum Anfang und zur Übersicht geht es hier:

PART IV – NACH DER HEIMAT

PART III – VERSCHLEPPUNG

PART II – KINDHEIT

PART I – INTRO