Zeitzeugin: KATHARINA FRANK Kapitel 3.5.: Bei Lausplage und Hungersnot hilft das Pony

 

Die Tage in den Arbeitslagern waren bitter, die Kälte und miserablen Unterkünfte waren grauenvoll. Ich bewundere meine Großmutter dafür, dass sie diese Zeit durchgestanden hat und dabei nicht ihren kritischen, starken und auch liebevollen Blick auf die Welt verloren hat. Sie ist halb zu Grunde gegangen, aber ihre Seele hat sich nicht einschüchtern lassen. Sie hat weiter gekämpft, weiter gemacht, nicht aufgegeben und die Hoffnung an das Wiedersehen mit der Familie nicht verloren.

Katharina Frank erzählt in diesem Interview von ihrem neuen „Arbeitskollegen“, einem kleinen Pony, das die Loren zieht. Dieses erhält natürlich auch eine Verpflegung und zwar Mais. In der Not der Situation wurde dem armen Tierchen ein Teil der Ration abgeknöpft, die Gefangenen hatten selbst kaum etwas zu Reißen und zu Beißen. Tag um Tag wurde durchgerungen und bei schwindender Kraft, schlechter Ernährung und ohne jeglichen Hygienestandards traten auch zunehmend gesundheitliche Probleme auf. Kleine Weisheiten helfen hier. Der Morgenurin wirkt desinfizierend und kann in derartigen Ausnahmesituationen zum Lebensretter werden. Die Insassen wuschen sich damit ihre Augen aus und behandelten Wunden, was sicherlich in einigen Fällen vor weiteren Infektionen geschützt hat. Bei einem Lausbefall können zunächst Kämme behilflich sein, aber in einer Barracke in der russischen Pampa musste dann letztlich doch die Schere zum Einsatz kommen. Schade um die Haarpracht der Frauen, aber die Haare wären bei den später noch folgenden Krankheiten ohnehin allesamt ausgefallen…

 


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Kapitel 3.5. – [ VERSCHLEPPUNG ⛓ ]
?  Bei Lausplage und Hungersnot hilft das Pony  ?

 

(Katharina): Ja, das dann mit dem Pferdchen. Ja siehst du, das muss ich dir ja zu Ende erzählen. Jetzt rufen meine Kameraden:

                           (Frauen): Es ist 11 Uhr, komm Kathi, wir gehen zum Essen. Komm                                                  hoch. Die Sprenger sind da.

Ich hab dann gemeint:

              (Kathi): Ja, ich komm schon. Ich hab da ja ein Pony. Dem muss ich ja jetzt                                  Mais. geben zum Fressen, das anhängen.

Als ich dann hoch gekommen bin, haben die gesagt:

                           (Frauen): Was denn! Du gibst dem jetzt nur noch den halben Mais                                                 und den bringst du mit hoch, den schaffen wir dann mit in                                            die Baracke, gell.

Die Wess Anna, die ist freiwillig mit [nach Russland]. Der Mann ist mit, die Schwägerin und zwei Töchter. Und die hat dann, wenn wir draußen waren, dann hat die Ordnung gemacht und ausgekehrt. Und dort neben dran war so ein Zimmer, da war ein großer Ofen. Die Deutschen hatten da drin gehaust, wo wir dann drin waren. Aber weißt du, was ich gemacht habe? Ich hab Gott gebeten, er solle mir das verzeihen. Unser Hunger ist so groß, er muss das wissen. Ich kann dem Pferdchen, dem Pony nicht alles geben, wenn meine Kameraden da oben warten. Und die Wess Anna hat uns das dann gekocht. Und die eine hat hier etwas zusammengerafft, weil das Holz hatte man ja bringen müssen. Wenn die für einen gekocht hatte, das sie auch Holz hat. Also, jetzt war das so. So drei oder vier Mal ist mir das angegangen, aber das ist nicht schwächer geworden. Gar nicht. Das hat so schön geklappt. Und dann hab ich nochmal hoch dürfen. Dann ist das Russenmädchen gekommen, das ich abgelöst hatte. Weiß nicht, wo sie gewesen ist, aber ich durfte wieder hoch zu meinen Kameraden. Dann hat die eine Kathi gesagt:

                           (Frauen): Gell Kathi, wärst du doch lieber unten geblieben, dann                                             hättest du uns alle 13 versorgt.

Das war doch immer ein bisschen was zu essen. Wenn wir in die Baracken gekommen sind, was hatten wir denn? 200 Gramm Brot, da ist man an den Schalter gegangen und hat sein Brot geholt. Dann muss man über zwei Linien gehen, da war dann das Lager, das Haus. Bis man bis dorthin gekommen ist, hatte man das Brot gegessen. Die Ratten konnten dir kein Brot wegnehmen. Und drei Monate kein Wasser, wir konnten uns nicht waschen. Kein Licht, nichts. Also die Deutschen hatten alles weggeschleppt, hatte der Dolmetscher gesagt.

Also und das WC, also wo ist das WC? Siehst du, das hatte ich dir auch nicht gleich erzählt. Also dort im Hof war so eine Bude. Wer hat den gewusst, was das ist. Also mit Brettern zusammengehauen. Also dann hat er uns erklärt:

(Heimoffizier): Das hier ist für die Frauen und das hier für die Männer.

                           (Frauen): Also lasst uns schauen gehen, wie das ausschaut?

Das war ja tief, und gut ausgegraben. Und das stand dann da oben drauf mit einem Podium. Und da waren dann so runde Löcher. Da hat man sich dann drauf gestellt und seine Not verrichtet. Und auf der anderen Seite waren die Mannsleute, gell. Also das war schon auch was. Das hat schon viel gekostet, und dann noch kein Wasser. Und weißt du was ich gemacht hab? Also das kannst du dir merken. Die Urgroßmutter, also meine Großmutter, die ist morgens aufgestanden und die hat ihre Augen mit Urin gewaschen. Und ich hab das auch gemacht. Da sagt die Eine:

                           (Frauen): Kathi du sagst gar nichts? Sind deine Augen auch so                                                        verklebt wie unsere?

(Kathi): Wisst ihr was? Ich werde euch jetzt mal etwas sagen. Macht das auch so, wie ich das mache. Wenn ihr morgens aufsteht, wenn ihr pinkeln geht, dann haltet eure Hände drunter und wascht euer gesamtes Gesicht damit und die Augen und dann seid ihr schon gewaschen.

                           (Frauen): Sollen wir das wirklich machen?

(Kathi): Na sicher, ich mach das doch schon.

Alle haben es gemacht. Dann war großer Zirkus, weil wir uns nicht reinigen konnten. Und dann sind die Läuse gekommen. Die Wäsche von daheim, die war schon alle dreckig. Wir konnten nicht waschen, nichts, gell. Also ein Stab ist dann gekommen und was weiß ich, was die dann alles auf Russisch geredet haben. Und dann ist ein großes Haus gebaut worden, also so ein Ding, also für die Duschen, die sind dann rein gekommen. In dem einen großen Lokal war was für Frauen und das andere dann für Männer. Als wir dann von der Arbeit gekommen sind, da sind wir dann da rein und haben uns gereinigt. Aber wir haben schon Läuse gehabt. Kleidungsläuse. Kopfläuse nicht. Kopfläuse hatte ich lange nicht. Aber wir sind immer schwächer geworden. Weil das alles, wie soll ich dir das erklären, das war schon kein Essen mehr gewesen. Und dann ist die Cholera ausgebrochen und Typhus.

 


 

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PART III – VERSCHLEPPUNG

PART II – KINDHEIT

PART I – INTRO