Zeitzeugin: KATHARINA FRANK Kapitel 3.1.: Die Russen kommen!

An das Datum konnte sich meine Großmutter noch ganz genau erinnern. Diese Nacht hatte sich fest eingebrannt ins Gedächtnis, wobei ihr zu diesem Zeitpunkt noch nicht wirklich bewusst war, was nun genau passieren wird. Es war der 14. Januar 1945. Mitten in der Nacht fuhr die russische Armee in Begleitung von rumänischen Soldaten in das Dorf ein. Der Krieg endete für Deutschland erst am 8. Mai 1945, Japan kapitulierte letztlich am 2. September nach dem Abwurf der zwei Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. Mitte Januar war der Krieg also noch nicht vorüber, die Deutschen waren aber bereits weit zurück gedrängt und Rumänien hatte keine andere Wahl, als sich Russland anzuschließen, um harte Sanktionierungen zu vermeiden. Dieses „Zwangs-Anschließen“ an die russische Föderation kam dennoch einer Besatzung gleich, die sich bis zum Fall der Mauer und der Sowjetunion fortziehen sollte. Ein erstes Ziel der Russen waren natürlich die deutschen Siedlungsgebiete, die dortigen Ressourcen und Bewohner. Tiere, Lebensmittel, Hab und Gut wurden beschlagnahmt, von nun an standen regelmäßige hohe Abgaben über den rumänischen Staat an.

Das ganze Dorf war in dieser Nacht bis zur Abfahrt ein paar Tage später natürlich in größtem Aufruhr. Es war diese bereits seit Langem vorherrschende Angst. Diese Angst, dass die Russen bald wirklich wieder vor den Toren stehen. Und nun traf dies tatsächlich ein. Der Vater von Katharina Frank wusste sogleich, was dies bedeutet. Meine Ur-Großmutter war noch zu jung, um sich den folgenden Konsequenzen vollkommen bewusst zu sein. Zunächst wurden einige Häuser im Dorf geräumt und als vorläufige Gefangenenbaracken genutzt. Mein Ur-Urgroßvater versuchte zunächst seine Kinder bei einer benachbarten rumänischen Familie zu verstecken. Vergebens. Der Hauptmann der Soldatentruppe verfügte über genaue Anwohnerlisten und es stand bereits fest, wer zur Zwangsarbeit eingezogen werden würde. Nachts mussten die Ausgewählten bereits in die provisorischen Gefängnisse. Das Klagen und Weinen an den Absperrungen war unvorstellbar. Eltern weinten um ihre Kinder, Kinder um ihre Eltern. Man versuchte in den wenigen Stunden bis zum Abtransport noch möglichst viele nützlichen Dinge mitzugeben, getrocknetes Fleisch, einen Lauskamm, warme Kleidung und was einem sonst noch in der Panik einfiel. Dann war es schließlich soweit. Die Verschleppung startete und die Gefangenen wurden mit Lastwägen zum Bahnhof in Temeschburg gebracht und dort in Eisenbahnwaggons gezwängt, die ansonsten für den Viehtransport vorgesehen waren. Katharina Frank berichtet aufschlussreich von dieser schrecklichen Nacht und den darauf folgenden Tagen. Die Erzählung zur Zugfahrt ins Ungewisse folgt im nächsten Kapitel.

 


>>> VERSCHRIFTLICHUNG DES INTERVIEWS <<<

 

Kapitel 3.1. – [ VERSCHLEPPUNG ⛓ ]
⚒  Die Russen kommen!  ?

 

(Katharina): Dann soll ich dir erzählen, wie wir auf Russland verschleppt worden sind?

                     (Interviewer): Ja

(Katharina): Also das war der 14. Januar 1945. Also so hat es sich zugetragen. Wir waren doch alle eine Woche in der Arbeit, ein jeder Mensch, der arbeiten hätte können. Und sonntags waren wir daheim. Meine Schwester war auch verheiratet, ich auch. Ich hatte drei Kinder. Meine Schwester hatte einen Sohn und noch einen kleinen mit acht Monaten, der Franz. Jetzt, am Abend, als wir gegessen hatten, mein Vater ist immer noch etwas spazieren gegangen. Kaum war er fort, so eine dreiviertel Stunde, da kommt er rein und war aufgeregt.

                    (alle): Na was ist denn?

(Vater): Na was meint ihr, das Dorf ist umstellt mit Militär. Niemand kann raus und niemand kann rein. Die Russen sind da, die holen die Weibsleute von 18er geboren bis 28. Und die jungen, die nicht im Krieg sind, die 15- und 16-jährigen, die werden auch genommen. Was mach ich jetzt mich euch zwei, was mach ich jetzt mit euch zwei?

Der war doch so aufgeregt. Also wir alle waren da, meine Mutter, meine Großmutter, ich, meine Schwester. Die Kinder, die waren ja schon beim Schlafen. Dann ist er nochmal fort. Dann ist er nochmal gekommen und hat gemeint:

           (Vater): Es ist kein Pardon, ich will euch denen nicht geben.

Weißt du, wir hatten dort Rumäner gehabt. Acht Familien um uns herum. Und deren Kinder sind mit unseren auch zur Schule gegangen. Und drei hatten den gleichen Chef gehabt. Mit dem war mein Vater sehr gut, wie ein Bruder. Jetzt ist er dort hingegangen. Und der Mann und die Frau, die hatten nur einen Sohne gehabt. Der hat denen ausgelegt, was da los ist. Dann haben die mal geschaut. Und er hat ihnen gesagt:

(Vater): Ich möchte euch bitten, ich möchte denen meine Kinder nicht geben. Kann ich die herbringen? Gibt ihr Obacht bis das Ganze vorbei ist? Können die sich hier verstecken?

(Nachbar): Ja!

Die waren gleich willens. Dann ist er heimgekommen und hat gemeint, ich kann euch da verstecken. Wir haben da gewohnt und dann war da eine kleine Gasse und da war dann deren Haus. Also dann hab ich mich angezogen und meine Schwester sich auch. Dann ist er mit uns dort hin. Dann sind wir dort gesessen und haben erzählt, die konnten ja deutsch. Die haben ja schön deutsch geredet. Und deren Sohn auch, der hat dann ja auch studiert. Also. Er ist halt wieder ins Dorf, um zu hören wo die sind und wie es geht und freitags und samstags, die Zigeunergasse   –  wir waren in der Walachgasse, da war der Bahnhof, da die Zigeunergasse, und da oben war das Lothringen. Die Zigeunergasse, die Häuser, die zusammen gestanden haben, da oben im Lothringen, die haben alle vorne das Zimmer frei machen müssen. All die Möbel mussten raus. Es hat niemand gewusst wieso. Und in der Zigeunergasse, die Leute auch. Was meinst du, dort sind wir dann hinein eingesperrt worden. So um drei Uhr ist unser Vater gekommen. Er kommt rein und:

(Vater): Es ist kein Pardon. Die Kathi holen sie und die Resi braucht nicht gehen.

Weil das Kind acht Monate alt war. Nur die Mütter konnten daheim bleiben. Na. Also ich zieh mich an. Da haben wir alle da so gesessen eine ganze Nacht. Und mein Vater ist immer schauen gegangen, wie weit die sind. Und morgens um halb acht, das war montags morgens. Wir hatten so ein L-Haus, da waren an der Straße zwei Zimmer. Dann hab ich gesagt:

                   (Kathi):  Jetzt kommen sie.

Es waren Russen und ein Rumäne. Mit einem aufgelanzten Gewehr. Die sind reingekommen. Der Rumäne hat angeklopft. Mein Vater ist aufgestanden und hat die Tür aufgemacht, hat sie willkommen geheißen. Mein Vater war schon in dem geübt, weil der war auch vierzehn Jahre in Amerika. Und dann hat der eine das Buch geholt.

(Soldat) [rumänisch]:  Cine este Katharina Frank?   [deutsch]: Wer ist Katharina Frank]

Dann hab ich gesagt:

            (Kathi): Das bin ich.

Ich hab schon gewusst, was kommt. Mein Vater hat das schon alles auserzählt. Er hat gesagt, ich soll mich fertig machen. Ich muss mit denen gehen. Dann hab ich gesagt:

            (Kathi): Für auf Russland oder was?

                                   (Soldat): Nur nicht so viel mitnehmen.

Dann hab ich gesagt:

            (Kathi): Ich bin schon angezogen.

Dann hat er gesagt, ich soll mich verabschieden. Sie gehen hinaus auf den Gang und warten, bis ich mich verabschiedet habe. Dann hab ich mich verabschiedet. Und die drei sind voraus gegangen und ich bin hinterher gekommen. Die Zigeunergasse, wie hat sie nur geheißen, ich bin dann dort hingekommen. Dort sind wir dann eingesperrt worden. Also die anderen hatten auch ihre Zimmer leer gemacht, das haben sie müssen. Die Möbel raus. Und das dort, das war dann unser Gefängnis. Was meinst du denn, abends. Es war dunkel, es war Winter, es war dunkel, Schnee. Und was sich dann da auf den Gassen getan hat. Die Menschen sind raus gekommen und haben geweint und gejohlt und getobt und alles.

Und dann morgens, dienstags morgens, da ist mein Vater gekommen. Da hat er dann so ein Säckchen gehabt, da hat er dann Kleidung drin gehabt. Da sagt ich dann:

            (Kathi): Na, was willst du jetzt?

(Vater): Was meinst du, dass die euch fünf Jahre spazieren führen? Da ist Kleidung. Da ist Sommerkleidung und Winterkleidung. Die Große, also die und die Mutter, die haben das schon alles gerichtet. Und ich bring es dir.

Und deine Oma, die war da fünf Jahre alt, die ist immer mitgelaufen gekommen. Aber es hatte ja niemand rein dürfen. Am Zaun, weißt du, über den Zaun haben sie den Leuten, den Angehörigen ihre Sachen gegeben. Also jetzt hat er die Kleidung gebracht gehabt. Nachmittags ist er nochmal gekommen, da hat er Halbschuhe gehabt, ein Mantel, eine Decke. Da sag ich:

              (Kathi): Was bringst du denn so viel Sachen?

(Vater): Das brauchst du alles! 

Hat er gesagt. Und 2000 Lei hat er mir gegeben. Na gut, so ist es halt. Am nächsten Morgen ist er schon wieder gekommen. Dann hat er gesagt:

(Vater): Schau mal, wir haben doch geschlachtet. Und du musst doch dort auch leben.

Dann hat er einen halben Schinken gehabt, Brotwurst, Leberwurst, Schmalz, Mehl, Kartoffeln. Also von allem zum Leben. Das waren so simple Sachen.

              (Kathi): Vater, das kann ich doch gar nicht tragen!

(Vater): Ihr braucht nichts tragen. Das machen schon die großen Autos.

Also gut ist. Jetzt haben wir gegessen, dann ist er nachmittags nochmal gekommen.

(Vater): Weißt du was, schau mal, hier ist ein Läusekamm.

Früher hat man die bekommen, ich weiß nicht, ob man die noch kriegt.

(Vater): Ihr bekommt Läuse.

Hat er gesagt und von der Urgroßmutter.

(Vater): Den Läusekamm den gibst du niemandem, damit du keine Läuse bekommst.

Mit haben doch lange Haare gehabt und Zöpfe. Na gut, so ist es halt. Dann ist er nochmal gekommen, da hat er ein Bügeleisen gebracht.

              (Kathi): Aber Vater! Hab ich gesagt.

                                (Kameradin): Lass nur sein.

Hat meine Kameradin gesagt.

                                (Kameradin): Wenn wir dann Stoffläuse bekommen oder so,                                                        dann können wir die Kleidung bügeln. 

Das kann man sich doch gar nicht vorstellen, das hatten wir doch gar nicht gebraucht. Also gut. Am Abend um 11 Uhr war die Gasse, also ganz Jahrmarkt war in dieser Gasse. Die Mütter und wer hinkommen konnte. Oben im Lothringen. Und dann sind die großen Autos angefahren gekommen. Und dann die Posten, es war noch ein bisschen Mondschein, das vergesse ich nicht. Und ich hab noch eine gute Kameradin gehabt. Die ist auch geholt worden und die hat nur noch ein bisschen mitgekriegt. Dem seine zwei alte Eltern, die konnten ihm nichts bringen. Und zwei Kinder hat sie hinterlassen. Sie hat mal gesagt:

                               (Kameradin):  Weißt du Kathi, ich bin nur froh, dass meine Kinder                                                            versorgt sind.

             (Kathi):  Weißt du was? Schau mal was ich alles für Sachen habe. Solange                                    ich hab, wenn du mir hilfst, solang hast du auch.

Also es war dann so.

 

 


 

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PART IV – NACH DER HEIMAT

PART III – VERSCHLEPPUNG

PART II – KINDHEIT

PART I – INTRO