In diesem Kapitel erzählt meine Ur-Großmutter von der langen Reise zum Arbeitslager in Russland. Die Insassen waren eingepfercht im Eisenbahnwaggon, der sonst für den Viehtransport vorgesehen war. Es bestand kaum genügend Platz für die Menschen auf den wenigen Quadratmetern. Weitere Schwierigkeiten traten auf, als die Erste aufs Klo musste… Katharina Frank erzählt nüchtern rückblickend, aber auch realistisch hart. „Es war dann eben so, man hatte keine anderen Möglichkeiten“. Die nächsten Wochen und Monate würden sich die Gefangenen mit noch viel mehr Missständen abfinden müssen. Aber Not macht erfinderisch und schweißt zusammen, irgendwie hat man sich dennoch durchgeschlagen. Für das ‚Geschäft‘ während der Zugfahrt wurde ein Loch in den Boden geschnitzt und Decken, die die Danebenstehenden hielten, sorgten zumindest für etwas Privatsphäre bei dieser Tätigkeit.
Diese Reise muss der Horror gewesen sein. Keiner wusste wohin es geht und was nun passieren würde. Es herrschte große Angst. Wenigstens waren die Gefangenen mit anderen Dorfbewohnern zusammen untergebracht. Auf der Strecke wurden an mehreren Stellen neue Waggons mit weiteren Verschleppten hinzu gekoppelt. Die Soldaten behandelten die Gefangenen dennoch relativ human, meine Ur-Großmutter hatte von keinerlei Gewalt oder von Misshandlungen gesprochen. Die Insassen waren immerhin gewöhnliche Zivilisten und keine gegnerischen Soldaten. An einigen Haltestationen war es sogar noch möglich Lebensmittel zu erwerben, was mit dem wenigen mitgenommenen Geld auch getan wurde. Wer weiß, wann es nochmal die Möglichkeit zum Einkauf gibt, oder wann Nahrung überhaupt wieder zur Verfügung steht.
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Kapitel 3.2. – [ VERSCHLEPPUNG ⛓ ]
? Transport über Odessa ?
(Katharina): Also jetzt sind wir dort in die großen Autos rein gekommen und rechts und links hat der Russe gesessen. Wie er angefahren ist, gell, ich weiß gar nicht wie viele Autos es gewesen sind. Das waren ja viel, Jahrmarkt war ja eine große Gemeinde. Ich hab das Buch auch gelesen, ich weiß auch wie viele mitgenommen wurden. Also. Jetzt sind wir nach Temeschburg geführt worden in den großen Bahnhof in der Josefstadt. Und dort sind wir ausgeladen worden und dort haben schon die, wie sagt man, der Zug hat dort schon gestanden, also die Viehwaggone. Und in die Viehwaggone sind wir rein gekommen. Und in den Viehwaggonen war weiter nichts. Also ich sag jetzt mal, oben konnte man sitzen oder sich ein bisschen hinlegen. Da war nichts. Und unten auch nicht. Und da war ein Ofen gestanden, in der Mitte. Das Rohr war in der Mitte und rundherum war so ein bisschen, dass man was drauf stellen konnte. Also gut ist. Jetzt waren wir da drin. Und die Russen haben [die Schiebetüren] zugeschlagen, der eine war so wütend, der war so jähzornig.
(Russen): Tschor di ne metzki !!!
Das hat er gesagt. Weißt du was das heißt?
(Interviewer): Nein.
(Russen): Zum Teufel, du Deutscher! Jetzt haben wir nur Arbeit mit euch!
Jetzt ist die Nacht gekommen. Na, was machen wir jetzt? Wir waren 35 in dem Waggon, in dem Viehwaggon. Ich weiß gar nicht wie viel, also das war ja ein langer Zug. Das waren ja zwei Kessel an unserem Transport. Also jetzt, was machen wir jetzt? Wir sind gestanden. Man hat sich ja nicht sitzen können. Und das Brett das oben war, das war so, dass wir uns verteilen konnten, dass wir nicht alle unten waren. Und dann waren da so kleine Fensterchen mit Gittern. Die, die oben waren, die haben dann dort raus gesehen. Also jetzt ist der Zug angefahren. Na, dann haben wir angefangen zu beten und geweint. Wie das schon war, weißt du. Also von daheim fort. Wer weiß, wo die uns hinführen und alles. Also, bis Odessa. Dort sind wir dann ausgeladen worden. Und dort haben wir dann, dort war der Markt, und dort konnten wir dann auf den Markt gehen. Aber die Posten, also das war ja alles umstellt, da hatte man nicht, aber doch, es sind schon welche durch gegangen [=abgehauen]. Sogar zwei Frauen sind durchgegangen. Und dort war dann Essen und so Spazierstöcke und voll mit Brezeln. Und ich hatte doch Geld. Da hab ich zur Seffi gesagt und übers Kelter-Bawi.
(Kathi): Wisst ihr was? Ich hab doch Geld. 2000. Was machen wir mit dem? Lasst uns mal einkaufen!
Seife. Streichhölzer. Und zwei Stangen mit Brezeln. Also hab ich gesagt:
(Kathi): Die Streichhölzer und die Seife, das brauchen wir ja in Russland.
Dann sind wir in die russischen Waggone gekommen, also in die Viehwaggone. Unser Gleis ist nicht so breit, wie das von den Russen. Weil die Züge der Russen können nicht überall, die können nicht hier in Europa fahren. Das werde ich dir noch erzählen, wenn wir auf dem Rückweg sind.
Jetzt ist der Zug dann angefahren. Jesses, gell. Und dann morgens, die Kinder, dann sind sie schauen gekommen und alles. Zu Essen haben wir ja nichts bekommen, aber wir haben ja gehabt. Gell, also man hat schon gegessen und alles. Also jetzt, wir sind schon drei Tage auf dem Weg. Wir sind schon vier Tage auf dem Weg.
(Kameradinnen): Wo fahren wir denn nur hin?
Wir sind dann über den Dnjepr gefahren. Ja, siehst du, so hat es angefangen. Über den Dnjepr.
(Kameradinnen): Also wo fahren wir hin? Wo führen die uns hin?
Bei Saporischja [heutige Ukraine] ist der Zug das erste Mal stehen geblieben. Dann sind vier Waggone abgekoppelt worden. Saporischja, das war total niedergemacht, nur die Eisenstangen haben noch gestanden. Eine große Stadt. Dann haben wir da oben raus geschaut.
(Also jede): Geh weg. Jetzt schaust du, jetzt schaust du!
Jetzt sind die vier Waggone abgekoppelt worden. Jetzt sind die Leute dort, also die Deutschen, die hatten da auch ein Lager. Wir waren auch in einem deutschen Lager. Wirst noch sehen. Also jetzt ist er wieder angefahren. Und wenn der Zug angefahren ist, dann hat es immer so zusammen geschlagen. Und wir haben dann, ach ja, also Holz haben wir auch bekommen. Um Feuer zu machen.
(Natschalni): Zwo Barischna!
Hat der dann gesagt, der für uns zuständig war. Die sollen mit ihm mit kommen. – Es hat sich keine gerührt. Dann sagt da der eine, also zwei Männer waren mit ihren Frauen. Dann sagt der eine Mann:
(Deutscher): Geht doch ihr zwei mit, der macht euch ja nichts.
Dann sagt der andere:
(zweite Deutsche): Am Ende gibt´s Holz.
Und wirklich! Dann sind die gekommen und dann sind die zwei, also ich bin nicht gegangen. Die zwei sind gegangen. Also zwei jüngere Frauen. Dann haben die Männer Feuer gemacht. Dann haben wir uns, also Wasser haben wir gehabt, dann haben wir uns Wasser für Tee und Wurst gekocht. So wie als ob wir jetzt daheim gewesen wären. Jetzt ist der Zug nochmal stehen geblieben. Ob sie das mit Absicht gemacht haben oder nicht, ich weiß es nicht. Aber jetzt ist das wieder alles aneinander geschlagen und dann ist das alles runter gefallen. Jetzt sagt die Eine, das hätte ich schon davor erzählen müssen:
(Kameradin): Ich muss mal.
(Frauen): Ja, wo willst du denn hin?
haben wir gesagt.
(Frauen): Halt doch zurück.
Man kann zurück halten, aber nicht lange, gell.
(Kameradin): Ich muss aber, und ich muss, muss.
Dann sagt die Eine:
(Kameradin): Schau mal hier, da ist so eine Ritze in den Brettern.
(Frauen): Na was machen wir?
(Kathi): Komm wir machen ein Séparé [=Toilette]. Ich hab ein gutes Messer. Lasst uns das mal hier ausbohren.
Dann sind die zwei Männer von oben herunter gekommen. Die haben dann gemeint:
(Männer): Na Kathi, du hattest eine gute Idee!
(Kathi): Ja, wir müssen doch alle gehen. Das Pinkeln würde schon noch gehen, aber die große Not, nicht. Also wenn man nicht viel isst, dann muss man ja nicht oft gehen.
Also als erstes war eine junge Frau, die sich dort hin hat. Also was machen wir jetzt?
(Kathi): Ja, wer hat eine Decke?
(Kameradin): Ich hab eine!
(Kameradin): Ich hab auch eine!
Eine andere hatte auch eine. Also drei Decken und drei Frauen. Oder vier waren wir.
(Kathi): Also wir halten das jetzt so und du machst dann deine Not hier.
Gell, also das war ja mitten in dem Ding. Da war der Ofen, da waren wir. Da war nicht viel Platz.
(Kathi): Also du machst jetzt hier dein Geschäft! Und wer muss noch?
Gell, das haben wir so gemacht. Das hat ja so sein müssen. Wir haben ja nicht runter dürfen. Jetzt ist der Zug nochmal stehen geblieben. Dann sind nochmal drei Waggons abgekoppelt worden. Wir wollten nur fahren, und fahren und fahren. Alles war verkloppt und verarbeitet. Wie er dann das letzte Mal stehen geblieben ist, dann hieß es:
(Wachen): Runter! Potschidiri! Potschidiri!
Also vier und vier aufstellen. Und die Bagage [=Gepäck] und die Sachen alles auf einen Haufen. Also ich hab meine Sachen auch dort hin. Dann hab ich zur Seffi gesagt:
(Kathi): Seffi, das finden wir doch nicht mehr. Wer weiß, wo die die Sachen auch überall hinfahren.
(Kameradin): Ach, es gibt auch anständige Leute.
Das ist wahr! In Russland sind auch anständige Leute. Bei uns sind genauso auch schlechte.
<<< Kapitel 3.1. Die Russen kommen! <<<
>>> Kapitel 3.3. Ankunft in Russland in der Kohlegrube >>>
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