Zeitzeugin: KATHARINA FRANK Kapitel 3.6.: Aus Bauchtyphus wird Kopftyphus und der Fall ins Klo

In der Not wird man erfinderisch, auch pragmatischer. Man muss eben schauen, dass man am Leben bleibt. Dennoch hatte meine Großmutter damals, wie viele Jahre später bei der Interviewaufnahme ein gesundes Gewissen behalten, ihr Herz war stark und gefestigt. Was sie mitgemacht hat war schrecklich und erschütternd, aber sie hat weiter gekämpft. Es gab immer wieder Situationen in den Gesprächen, an denen sie nicht weiter erzählen wollte oder konnte, sie hat einfach aufgehört zu erzählen oder mit irgend etwas anderem angefangen. Ich konnte auch nicht mehr fragen, besser gesagt, ich hab es einfach schnell verstanden. Da ist noch einiges mehr, aber darüber kann sie einfach nicht reden. Das waren wohl die schlimmsten Sachen.

Zum Einen trag ich mit dieser Geschichte hier ihr Vermächtnis weiter, das ist aber nur der eine Teil. Sie war eben eine Idealistin und sie wollte auch, dass diese Geschichten insgesamt weiter getragen werden. Sie müssen erzählt werden und sie können helfen, vergangene, aber auch aktuelle und zukünftige Geschehnisse und deren Folgen besser zu verstehen. Es sind Zeitzeugenberichte, aus erster Hand, aus Ehrlichkeit und der Erinnerung von Dabeigewesenen erzählt. Ich weiß nicht, wie meine Großmutter es geschafft hat, die Zeit in Russland zu überleben, aber sie hat all diese Strapazen durchgestanden und wurde am Ende 95 Jahre alt. In der Aufnahme erzählt sie davon, wie nach auslaugender Arbeit, Kälte und Hungersnot schließlich die Krankheiten und Epidemien über die Arbeitslager hereinbrachen. Viele starben an Tuberkulose und Typhus. Zu allem Übel ist meine Großmutter dann auch noch in ein Plumpsklo gefallen.

 


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Kapitel 3.6. – [ VERSCHLEPPUNG ⛓ ]
? Aus Bauchtyphus wird Kopftyphus und der Fall ins Klo ?

 

(Katharina): An einem schönen Tag, ich hab schon den ganzen Tag gespürt, dass ich hohes Fieber habe. Als wir dann in die Baracke sind, dann hab ich über meine Kameraden gesagt, oder zur Wess Anna, das war meine beste Kameradin:

                          (Kathi): Weist du was? Ich gehe hoch ins Dispensar.

Das war oben auf dem Berg, auch so ein Haus.

                           (Kathi): Ich lass mir das Fieber messen!

Und dann hat sie gemessen, die Doktorin, und dann hab ich 40 Grad Fieber gehabt. Die Russin hat dann gesagt, sie kann mich nicht dort behalten. Es ist kein Bett frei, und ich soll schauen, es sind alle besetzt. Dann bin ich runter in die Baracke. Dann war da noch eine, die hat auch gesagt, sie hat doch so Fieber. Um 8 Uhr sind wir dann nochmal dort hoch. Da haben wir dann 41 und ein paar Striche gehabt. Dann hat sie uns dort behalten. Es waren zwei gestorben, weil dort sind täglich welche gestorben. Drei Wochen war ich dann dort oben. Da hab ich Bauchtyphus gehabt. Also ich hab mich vom Wasser zurück halten können. Es war ja vorgeschrieben. Und die Schwester in der Nacht, das war eine Deutsche von uns, von Johannesfeld. Die hat daheim Schwester und hat sich auch gemeldet, dann ist sie dort auch Schwester geworden. Und die hat geschlafen, und die, die Durst gehabt haben, die sind dort dann hingegangen und haben sich mal satt getrunken. Und dort war kein Klo. Das war draußen. So wie wir das daheim hatten, so ein Klo. Da war so ein Vordach und dort war ein großer Eimer drin gestanden. Und dort hast du müssen drauf gehen. Ich hab ja nicht so oft gehen müssen, weil ich mich zurück halten konnte vom Wasser halten. In der Nacht musst ich mal gehen, als ich die Tür aufgemacht hatte, also das Ding war voll. Das ist mir so dann auf mich geschlagen und ich bin dann dort reingefallen. Ich bin zusammen gebrochen. Und die hat es dann gehört rumpeln, die Schwester. Die ist dann auf und ist schauen gekommen. Weißt du wie die mich verschlagen hat? Ich war doch ganz verarbeitet. In diesen Scheiß dort bin ich rein gefallen. Das war schon was Großes. Morgens als die Doktorin gekommen ist, meine Kameradin die neben mir im Bett war, die hat gleich erzählt, was die mit mir da gemacht hat. Die hat ab dem Moment fort müssen und hat einen Zettel bekommen.

              (Doktorin): Du gehst jetzt in die Steingrube! Hat die gesagt. Du gehst zum                                   Stab und meldest dich. Also du bist jetzt freigestellt.

(Interviewer): Aber die war auch aus Rumänien? Und die hat dann dich verkloppt?

Ja, ja. Aus dem Banat. Von Johannesfeld war sie. Eine junge. Die war daheim Schwester und dort hatte man noch eine Schwester benötigt. Sie hat sich dann gemeldet und ist dann auch dran gekommen. Das war die Dolmetscherin bei der Frau Doktor. Na gut. Dann ist die ja fort. Dann ist eine Russin gekommen. Weißt du, wie gut die war? Also das alles, der Mülleimer und was da war, es war immer rein. Man hat hingehen können, wann man will, es war immer geleert. Zu Essen haben wir wenig bekommen. Das Brot haben sie ja verkauft. Und ab und zu ist im Wasser eine Kartoffel geschwommen. Diätkost. Jetzt ist er morgens gekommen und hat gemeint, wir würden alle geschert. Ich hatte aber auch schon Läuse. Immer gekämmt und gekämmt und gekämmt. Das war hier schon alles eins.  Wir wurden geschert.

Aber ich habe bemerkt, weißt du, so drei oder vier Tage davor, sie hat immer den Menschen gefragt:

              (Doktorin): Naka Tella.

Sie hat ja nicht mehr gehabt. Sie hatte nichts gehabt, um eine Tablette oder sowas zu geben. Aber ihre Plicht hat sie gemacht.

              (Doktorin): Wie geht´s dir?

Also dann hab ich aber gespürt, wenn ich hier so und so mache, dass mir dann die Haare ausgehen. Dann hab ich ihr das morgens gezeigt.

                          (Kathi): Mein Kopf brummt!

hab ich gesagt.

              (Doktorin): Wie oft warst du denn draußen?

hat sie gefragt.

                          (Kathi): Nur zwei Mal.

Dann hat sie gesagt über das was passiert ist, also die war damals noch nicht abgesetzt und war da noch Helferin. Da hat die dann gesagt:

              (Doktorin):  Das ist dir jetzt in den Kopf gezogen. Das Typhus. Das ist dir                                       jetzt in den Kopf gezogen. Du wirst nicht geschert, die Haare                                   gehen von alleine raus.

Dann hab ich mir gedacht: Ist mir doch dann auch egal und Wurst. Nach drei Tagen hab ich dann keine Haare mehr gehabt. Sie hätte mich aber auch scheren müssen. Gell, das ist doch alles raus. Dann war ich glatzig. Meine Kameraden haben da gesagt:

(Frauen): Kathi, du kriegst keine Haare mehr.

                       (Kathi): Ich bin doch verheiratet. Da tu ich das Kopftuch auf und fertig.

Also so war es dann auch. Das Kopftuch. Jetzt bei der neben mir, der Kameradin, wir haben den Fiebermesser bekommen, um selber Fieber zu messen. Und solange man Fieber hatte ist man nicht entlassen worden. Jetzt kommt sie um halb zwei und sagt:

(Kameradin): Kathi, was meinst du? Ich geh ja morgen heim!

Also in die Baracke. Das war ja unser Heim. Also fragte ich:

                       (Kathi): Wieso?

(Kameradin): Ja, ich hab gestern kein Fieber mehr gehabt.

                       (Kathi): Das ist doch unmöglich. Ich hab doch noch gehabt, dann                                             musst du doch auch noch haben.

(Kameradin): Das kannst du auch machen, dann kommst du auch heim.

                       (Kathi): Also, was hast du gemacht?

(Kameradin): Den Fiebermesser hab ich nicht hier her genommen. Den hab ich in der Hand gehalten. Und dann bin ich zur Schwester gegangen, man musste seinen Fiebermesser zeigen und die hat das dann dort eingetragen und das der Doktorin gemeldet.

Also ich hab das dann auch gemacht. Ja, aber ich hab ja auch noch Fieber gehabt. Weißt du? Das hätte ich ja nicht machen sollen. Aber ich hab es gemacht. Ich hab gemeint, ich kann in der Baracke bleiben. Was meinst du, am nächsten Tag, da hab ich das gemacht. Dann bin ich entlassen worden und die hat einen Zettel geschrieben, auf Russisch. Den hab ich dann abgeben müssen und dann durfte ich in der Baracke bleiben. Aber ich hab dann gleich am nächsten Tag wieder in die Steingrube arbeiten müssen mit meinen Kameraden. Als der mich dann am nächsten Tag gesehen hat, mager, abgemagert.

(Heimoffizier): Das ist unmöglich!

hat er gesagt. Der hat gleich einen Zettel geschrieben, und ich solle zum Stab gehen mit dem Zettel. Der hat ein Mädchen mit mir geschickt, dass ich nicht die drei Kilometer alleine gehen musste. Also zuerst hinauf in die Isolator. Dann hat sie gesagt:

                       (Kathi): Was soll ich jetzt machen?

Also in die Gartengrube. Ich hab auch Blut gespuckt. Und dann hat sie gesagt:

              (Doktorin): In die Gartengrube!

Und dort kann ich Essen und dort sind Pormidor und Hurzi und alles. Dann werde ich mich schon erholen.

 


 

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Zum Anfang und zur Übersicht geht es hier:

PART IV – NACH DER HEIMAT

PART III – VERSCHLEPPUNG

PART II – KINDHEIT

PART I – INTRO