Zur Zeit vor der Weltwirtschaftskrise, vor der Großen Depression und dem „Schwarzen Donnerstag“ am 24. Oktober 1929 war Amerika für die Europäer ein attraktives Land der Hoffnung mit der Aussicht auf lohnenswerte Arbeit. Viele sind komplett ausgewandert, aber viele sind auch nur für einige Arbeitsjahre in die Staaten gezogen. So auch mein Ururgroßvater Jakob Portscheller. Er fand dort eine gutbezahlte Beschäftigung in einer Zementfabrik und sendete regelmäßig Geld zur Familie ins Banat, um das frisch gebaute Haus zu finanzieren. Die globale Ökonomie kollabierte schließlich aufgrund des Zusammenbruchs der Wall Street. Mein Ururgroßvater hatte aber das Glück, dass er in einem relativ sicheren Sektor und einer stabilen Firma beschäftigt war. Im Gegensatz zu den verschiedenen Jobs und Tätigkeiten der anderen Banater Kollegen und Kameraden, waren in der Zementfabrik kontinuierlich Arbeitsaufträge vorhanden.
Jakob Portscheller verdiente in Amerika also ganz gutes Geld, während andere Banater ihre Arbeit verloren. Er hatte sich das nicht so ausgesucht, aber die Situation hatte dazu geführt, dass er Kapital ansparen konnte und andere Jahrmarkter sich aufgrund ausbleibender Löhne verschuldeten. Andere Grundstückbesitzer aus dem Heimatort verkauften an meinen Ururgroßvater Teile ihrer Weinberge in und um Jahrmarkt, um sich über Wasser zu halten. Die Idee tauchte plötzlich und ungeahnt auf, war interessant und lukrativ, es handelte sich immerhin um Delikatess-Wein.. Somit ist die Familie ins Weingeschäft eingestiegen. Aber mit dem Vater auf der anderen Seite der Weltkugel und der Familie vor Ort bestehend aus der Mutter und den kleinen Kindern ohne Erfahrung und entsprechender Gerätschaft. Es kamen zuhause lediglich und auf überraschende Weise Briefe an, mit der Information über den neuen Besitz eines besagten Weinbergs. Dies geschah nun mehrere Male und „ins kalte Wasser geschmissen zu werden“ trifft die Situationsbeschreibung wohl sehr gut. Zusätzlich entstanden Komplikationen durch die Vermittlung des Besitzerwechsels an die in Jahrmarkt gebliebenen Angehörigen, die von dem Verkauf ihres Grundstücks in einigen Fällen zunächst noch gar nichts wussten. Chaotisch verwirrende, aber für mich als Zuhörer interessante Situationen, die geklärt und kommunizierte werden mussten.
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Kapitel 2.1. – [ KINDHEIT ? ]
? Arbeit in Amerika und neue Weinberge ?
(Katharina): Als er in Amerika arbeiten war?
(Interviewer): Ja!
Ja, das war mein Vater. Wart mal, ich bin 1921 geboren. Im Jahr 1923 sind die Leute nach Amerika gefahren, um Geld zu verdienen. Die, die Schulden gehabt hatten. Mein Vater hatte auch Schulden. Der hatte ein Haus gebaut. Wir waren doch drei Kinder und meine Mutter war schon kränklich gewesen. Die ist schon zweimal operiert worden. Dann ist er auch gefahren, um zu arbeiten. Er hat auch gleich Arbeit erhalten in der Zementfabrik, als er hin gekommen ist. Das war damals so. Da sind die reichen Bauern, die, die Schulden gehabt haben, die sind alle, mit der Familie sogar hin. Und dann hat er in der Zementfabrik gearbeitet. Und im 113 Stock, dort hat er ein Zimmer gehabt, wo er gewohnt hat. Das hat er uns dann so daheim erzählt, als er gekommen ist. Er hat dort so ein Separat gehabt, aber der ist elektrisch gegangen. Er war in Chicago Illinois. Dort war doch so bitter kalt gewesen. Dann hat er schon abends in den Bottich Wasser getan und den auf den Ofen gestellt. Dann hat er das nicht so hoch geschraubt, dass wenn er morgens aufsteht, dass, wenn er um fünf Uhr aufsteht, dass er warmes Wasser hat. Dann war noch einer von Kowatschi. Der war auch und der hat mit ihm gehalten und sie zwei waren miteinander arbeiten. Die haben zusammen Arbeit bekommen in der Zementfabrik. Und jeden Morgen, bevor er in die Fabrik rein ist, ist er in den Gottesdienst gegangen. Mein Vater war so, also gläubig, gell. Und der Mann auch. Und an Weihnachten haben sie immer ein Christmas-Present bekommen. Also, mein Vater hat viel Geld verdient. Hab ich das auch schon gesagt gehabt? Weil im Jahr 1929 ist Amerika kaputt gegangen, da war Amerika zu. Vier Jahre lang ist nichts rein gekommen und nichts raus gegangen. Die Leute waren arbeitslos. Aber er und der Mann haben in der Zementfabrik ständig Arbeit gehabt. Und die reichen Bauern von Jahrmarkt, die dort gewohnt haben, die waren mit der Familie dort. Und dort hat es kein Geld gegeben, kein Arbeitslosengeld oder sowas. Ein Mittagessen in der Kantine. Und dann ist der eine Bauer zu ihm gekommen, und der hat gemeint zu meinem Vater:
(Bauer): Jakob!
Mein Vater hat Jakob geheißen.
(Bauer): Jakob, du verdienst doch so viel!
Ich möchte dir ein halbes Joch Weingarten verkaufen.
Was meinst du, was mein Vater gemacht hat? Also er hat ein halbes Joch Weingarten gekauft ohne nachzuschauen, wie der Weingarten aussieht dort in Jahrmarkt. Dann hat er das gezahlt, was er gekostet hat. Und wie sagt man, also Vertrag und alles, fix und fertig gemacht in Amerika. Auf einmal haben wir so einen dicken Brief bekommen, so einen großen. Dann sagt meine Mutter:
(Mutter): Was ist nur da drin?
Als sie aufgemacht hat, wir saßen da, die Kinder. Und meine Großmutter, die hat dann gesagt:
(Oma): Lass mal mich da rein schauen!
Meine Oma. Dann sagt sie:
(Oma): Was meinst du, was hier geschrieben steht?
Der hat einen Weingarten gekauft vom Seiwert Struwwilche.
Ein halb Joch Weingarten Delikatess Trauben.
(Mutter): Um Gottes Willen!
sagt meine Mutter.
(Mutter): Wir haben doch keine Fässer und nichts!
Meine Großmutter hatte schon. Die hat so ein Viertel Joch Weingarten gehabt für den Eigengebrauch, also von ihrem Mann. Und jetzt:
(Mutter): Ja, was machen wir jetzt?
Jetzt ist meine Mutter mit dem Brief zu dem Seiwert Struwwilche, zu dem Bruder gegangen, der hat den Weingarten verarbeitet. Und ich durfte mitgehen mit meiner Mutter. Ich kann mich an das so gut erinnern, als meine Mutter gesagt hat, was los ist. Der hat meine Mutter rausschmeißen wollen. Und dann hat meine Mutter gesagt:
(Mutter): Schau mal, ich bin zuerst zu dir gekommen, bevor ich in das Gemeindehaus gegangen bin. Ich bin zuerst zu dir. Ich muss ja in das Gemeindehaus zum Notar gehen und zum Richter.
Dann sind wir gegangen. Und dann hat der Notar und der Richter den rufen gelassen und dann haben die ihm gesagt:
(Notar): Du hast nichts mehr da drin verloren!
Der Weingarten gehört jetzt der Frau Portscheller!
Mein Vater war ja ein Portscheller. Na gut, jetzt haben wir einen Weingarten gehabt. Wie alt war ich denn da? Wart mal. Also 1923 geboren, das war dann 1929 und dann war das 1931 oder 1932. Also ich war noch jung, wir konnten doch nicht arbeiten. Dann mussten wir uns Tagelöhner holen. Dann haben wir dort ein paar rumänische Familien gehabt. Und das eine junge Paar, die sind gerne arbeiten gekommen zu meiner Mutter und meiner Großmutter. Und die haben immer gesagt, was sie kochen sollen. Weil die haben anders gekocht und wir auch. Also gut, jetzt haben wir diesen Weingarten gehabt und von meiner Großmutter deren Viertel Joch. Meine Großmutter hat auch ein bisschen Geld gehabt und mein Vater war im Krieg, im Ersten Weltkrieg, der hat auch, also die, die im Ersten Weltkrieg waren, die haben drei Joch Feld erhalten. Jetzt hat es nicht mal so ein halbes Jahr gedauert, da kam dann nochmal so ein Brief. Meine Mutter hat das wieder aufgemacht und sagte dann:
(Mutter): Das ist ja schon wieder nochmal sowas!
Sagt sie über meine Oma.
(Mutter): Nochmal ein halbes Joch Weingarten, auch von dem.
Aber der erste Weingarten, der war schon stocklos. Und die ersten Stöcke, was waren die? Die waren nicht so hoch gezogen wie hier. Die haben schon Stöcke und Pfähle gehabt, da war schon viel. Wir konnten ja viel Geld daraus machen, weil es ja eine Delikatesse war. Wir sind damit ja auf den Markt. Aber jetzt der zweite halbe Joch…. also ein Viertel war etwas, was auch schon alt war, auch Delikatesse. Und ein Viertel, das waren Matschare. Das war noch jung gewesen. Das hat einen Kopf erst bekommen. Also gut, dann haben wir jetzt schon wieder ein halbes Joch. Also jetzt haben wir schon ein Joch Weingarten. Jetzt sind wir Weinbauern. Dann hat meine Mutter eine Presse kaufen müssen und Fässer. Wir haben doch kein Fuhrwerk gehabt. Das hat sie ja alles zahlen müssen. Nun gut, das ist auch vergangen. Es hat nicht lange gedauert, dann ist nochmal so ein Brief gekommen. Also nochmal, von einem gewissen Sternbauer. Aber der hat niemand daheim gehabt. Der war mit der Familie ausgewandert. Also das war ein schöner Weingarten und ein junger. Unsere Großmutter ist mit uns raus gegangen und dann sind wir da vor dem Weingarten gestanden und haben geschaut. Das war übersponnen und übersponnen. Alles weiß. Die Pfähle, also wunderschöne Akazienpfähle waren das. Da standen wir dort und haben geschaut. Dann ist so ein älterer Mann gekommen und hat gemeint:
(Mann): Wess Leni, was macht ihr denn hier?
(Mutter): Ach, was meinst du denn? Mein Schwiegersohn. Der hat schon wieder einen Weingarten gekauft in Amerika. Den da hier.
(Mann): Holt den nur. Der ist gut. Der ist noch jung. Tut euch nur für eure Kinder Handschuhe verschaffen und gute, wie sagt man, Rebenscheren. Und dann schneidet ihr alles kahl ab.
Na gut. Die zwei Rumänen sind auch gekommen. Von den Tagelöhnern. Die haben das auch gemacht. Also was wir Reben gehabt hatten. Was meinst du? Vier Jahre lang hat da niemand drin etwas gearbeitet. Was meinst du denn? Das hat ja immer gesponnen und immer gesponnen und ist gleich wendig geworden. Dann unten drunter war ein großes leeres Feld.
(Mutter): Wo tun wir nur die Reben hin?
Dann hat der Mann uns das dort hin. Wir haben doch die Reben verschneiden müssen. Das war ja gut. Da haben wir Brot gebacken damit. Also jetzt hatten wir das. Dann hat meine Mutter noch mehr Fässer kaufen müssen. Und wir sind schon in die Höhe gewachsen. Ich und meine Schwester und mein Bruder. Mein Bruder hat schon angefangen zu spritzen, gell. Die Spritze auf dem Rücken und wir haben ihm dann das Spritzwasser nachgetragen. Und so haben wir schon dann da drin gewirtschaftet. Dann waren doch dort immer so alte Männer, die sind dann gekommen und haben uns beigebracht, wie man das alle macht. Also jetzt haben wir das gemacht. Jetzt war das, wart mal, so 1934, 1935. Wann ist er heim gekommen? Doch, 14 Jahre, im Jahr 1937 ist mein Vater heim gekommen. Da hatte er so viel Geld verdient, dass er die Weingärten zahlen konnte und uns erhalten und die Fässer und was man noch gebraucht hat und die großen, wo man das rein macht. Und das hatte er alles zahlen müssen. Jetzt als er heim gekommen da war er kaum eine Weile daheim. Da ist dann der Zweite Weltkrieg los gegangen. Da ist dann Hitler gekommen. Und dann hat der Rumäne doch alles weggenommen von den Leuten. Mein Vater hat das nicht genießen können, was er gekauft hat, dass er da drinnen arbeiten hätte können. Na und wirklich. Das war ein sehr sehr guter Weingarten. Und dort waren dann fünf Kirschenbäume. Aber die waren so ganz nebendran, die waren nicht für, also die haben keine Reben verdumpft. Jetzt haben wir das geschnitten. Was meinst du, was wir dann an Reben gehabt haben? Die haben wir doch schneiden müssen. Dann haben wir Brot gebacken davon. Und dann ist mein Vater heim gekommen. Wir haben doch keine Presse gehabt und keine Fässer und alles. Dann ist mein Vater heim gekommen und dann hat er erst gesehen, dass er schlecht gearbeitet hat. Er hätte sein Haus fertig bauen müssen und dann anlegen. So wie der Vetter Ernest es gemacht hat. Der hat sein altes Haus rumgeschmissen und ein neues gebaut. Aber mein Vater hat die Bauern unterstützt. Und dann ist der Krieg ausgebrochen und dann haben die uns alles weggenommen. Und was hat er gehabt? Von den 14 Jahren, von denen er in Amerika war? Gar nichts! Es ist doch alles, was er gekauft hat ist doch weggenommen worden. Er hat doch auch von vorne anfangen müssen zu leben. Genau wie wir alle. Und so ist es vielleicht vielen gegangen. Aber die hat dann nicht mehr glauben wollen, dass man das in Amerika den Vertrag hatte fertig machen können. Das ist fertig gemacht. Meine Mutter ist da auch auf den Vertrag gekommen. Und eine, also ich hab da schon geheiratet. Und ein halbes Joch hat er dann mir geben. Für das Infexen. Naja, aber was nutzt das. Die Ferma hat es doch genommen. Das war schon, das war schon weiß ich wie, es war schon. Und dann, dann ist es ja etwas besser geworden. Und so ist das Leben.
<<< Kapitel 1. Die Familie <<<
>>> Kapitel 2.2. Kuhmilchspende und die Süßweinrettung >>>
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