Der zweite Teil und der eigentliche Beginn der Erzählung handelt von Geschichten und Erinnerungen aus der Kindheit. Auf unserer interaktiven Karte ist der Stadtplan von Jahrmarkt (heute: Giarmata) verzeichnet. Einige Geschichten konnten genau mit bestimmten Gebäuden oder Orten verknüpft werden, wie beispielsweise die Kirche, die Schule oder der Friedhof. Andere Berichte wurden frei ins Ortsbild gelegt. Meine Urgroßmutter ist am 14. Oktober 1921 in Jahrmarkt geboren. Zur Zeit vor der Weltwirtschaftskrise, vor der Großen Depression und dem „Schwarzen Donnerstag“ am 24. Oktober 1929 war Amerika für die Europäer ein attraktives Land der Hoffnung mit der Aussicht auf lohnenswerte Arbeit. Viele sind komplett ausgewandert, aber viele sind auch nur für einige Arbeitsjahre in die Staaten gezogen. So auch mein Ururgroßvater Jakob Portscheller. Er fand dort eine gutbezahlte Beschäftigung in einer Zementfabrik und sendete regelmäßig Geld zur Familie ins Banat, um das frisch gebaute Haus zu finanzieren. Die globale Ökonomie kollabierte schließlich aufgrund des Zusammenbruchs der Wall Street. Mein Ururgroßvater hatte aber das Glück, dass er in einem relativ sicheren Sektor und einer stabilen Firma beschäftigt war. Im Gegensatz zu den verschiedenen Jobs und Tätigkeiten der anderen Banater Kollegen und Kameraden, waren in der Zementfabrik kontinuierlich Arbeitsaufträge vorhanden. Mein Ururgroßvater verdiente in Amerika also ganz gutes Geld, während andere Banater ihre Arbeit verloren. Er hatte sich das nicht so ausgesucht, aber die Situation hatte dazu geführt, dass er Kapital ansparen konnte und andere Jahrmarkter sich aufgrund ausbleibender Löhne verschuldeten. Andere Grundstückbesitzer aus dem Heimatort verkauften an meinen Ururgroßvater Teile ihrer Weinberge in und um Jahrmarkt, um sich über Wasser zu halten. Die Idee war interessant und lukrativ, es handelte sich immerhin um Delikatess-Wein. Somit ist die Familie ins Weingeschäft eingestiegen. Aber mit dem Vater auf der anderen Seite der Weltkugel und der Familie vor Ort bestehend aus der Mutter und den kleinen Kindern ohne Erfahrung und entsprechender Gerätschaft. Es kamen zuhause lediglich und auf überraschende Weise Briefe an, mit der Information über den neuen Besitz eines besagten Weinbergs. Dies geschah nun mehrere Male und „ins kalte Wasser geschmissen zu werden“ trifft die Situationsbeschreibung wohl sehr gut. Zusätzlich entstanden Komplikationen durch die Vermittlung des Besitzerwechsels an die in Jahrmarkt gebliebenen Angehörigen, die von dem Verkauf ihres Grundstücks in einigen Fällen zunächst noch gar nichts wussten. Chaotisch verwirrende, aber für mich als Zuhörer interessante Situationen, die geklärt und kommunizierte werden mussten. Als dann schließlich der Krieg ausbrach und in den Jahren danach das halbe Dorf nach Russland deportiert wurde, war ohnehin egal, wem was gehörte oder wer was anbaute.
Es ist wirklich bemerkenswert mit welcher Detailgenauigkeit sich die 91jährige alte Dame diese Begebenheiten gemerkt hat. Wahrscheinlich gerade deshalb, weil es so gezwungenermaßen neu und konfliktbehaftet war. Meine Urgroßmutter erzählt in den Interviews weiter, wie es damals in der Schule zuging, wie das Weihnachtsfest früher gefeiert wurde, von der damaligen Presse und der politischen Situation. Sie hat die Entwicklung des Deutschen Reichs und die Auswirkungen auf Europa miterlebt, besser gesagt, die Konsequenzen, die die politischen Veränderungen für Rumänien und das Banat mit sich brachten. Am 1. September 1939 begann der Zweite Weltkrieg. Rumänien agierte zunächst als Verbündeter Deutschlands, war aber 1940 gezwungen sich Russland anzuschließen. Dies hatte selbstverständlich Folgen für die Deutschen, die auf rumänischem Gebiet angesiedelt waren. In den Erzählungen wird berichtet, wie die russischen Truppen ins Gebiet einzogen und wie die Bevölkerung darauf reagierte. Interessant waren für mich auch die wenigen Erinnerungsstücke, die meine Urgroßmutter noch von ihrer eigenen Großmutter berichten konnte. Das war quasi meine Ur-Ur-Ur-Großmutter. Die Abschnitte sind als Audiopodcasts und in verschriftlicher Form verfügbar.
PART II – DIE KINDHEIT (1921 – 1935)
>>> (2) Kapitel 2.1.: Arbeit in Amerika und Grundstückserwerb
>>> (3) Kapitel 2.2.: Kuhmilchspende und die Süßweinrettung
>>> (4) Kapitel 2.3.: Panik vor den Russen und dunkle Vorahnungen
>>> (5) Kapitel 2.4.: Erinnerungen an die Schulzeit
>>> (6) Kapitel 2.5.: Die Brennerei und Weisheiten von der Oma der Uroma
>>> (7) Kapitel 2.6.: Der Friedhof früher und die Zeitung
>>> (8) Kapitel 2.7.: Weihnachten damals
BISHER ERSCHIENEN IN DER „Chronik der Katharina Frank“
- zu PART I – INTRO (Interview 1)
- zu PART I – KINDHEIT (Interview 2 – 8)
- zu PART III – VERSCHLEPPUNG (Interview 9 – 16)
- zu PART IV – NACH DER HEIMAT (Interview 17 – 23)
- zu
PART V – NACHKRIEGSZEIT(Interview 24 – 30)
- zur Idee des historisch-autobiographischen Zeitzeugen Projekts